Schon der Name der Stadt steht für gastronomische Köstlichkeiten, Parmaschinken, Parmesan, und auch wenn die berühmte Parmigiana (ein Auflauf mit Auberginen, manchmal Zucchini) wahrscheinlich aus Neapel oder Sizilien stammt, bedeutet „alla parmigiana“ doch „auf Parma-Art“. Die Region Emilia-Romagna ist ohnehin verwöhnt mit Spezialitäten wie Mortadella, Aceto balsamico, Culatello etc.
So ist es kein Wunder, dass die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit, Efsa, ihren Sitz in Parma hat. Ebenfalls gibt es ganz in der Nähe die hoch angesehene International School of Italian Cuisine, ALMA, deren erster Rektor Gualtiero Marchesi war, welcher als Begründer der modernen italienischen Küche gilt.
Und die Universität von Parma bietet einen dreijährigen Studiengang in „Scienze Gastronomiche“ an, der alles Wissenswerte rund um Lebensmittel beinhaltet (Gastro-Tourismus, Herstellung, Vertrieb usw.).
Parma beherbergt den größten Pastahersteller der Welt, die Firma Barilla.
Und Mutti, Tomateneindoser und Erfinder der Tomatenmarktube.
Außerdem ist die Stadt italienische Kulturhauptstadt 2020, dieses Event hat allerdings unter den Corona-Einschränkungen leiden müssen.
Genug Gründe also für einen kleinen kulinarischen Abstecher Anfang Oktober, als zwar in Italien in allen öffentlichen Gebäuden Fieber gemessen wurde und Desinfektionsspender allgegenwärtig waren, die Pandemie aber, aus aktueller Sicht, eine kleine Pause einlegte.
Wenn auch das berühmteste Produkt Parmas aus Schweinen hergestellt wird, haben die Parmigiani jedoch noch eine andere Leibspeise, von einem anderen Tier. Diese kurz vor der Wiedereröffnung stehende alte Metzgerei gibt einen dezenten Hinweis darauf, um welches Tier es sich handelt:
Daraus zubereitet wird das Pesto di Cavallo, ein Tatar aus Pferdefleisch, im parmenser Dialekt Caval pist genannt. Und ist tatsächlich auf so ziemlich jeder Speisekarte zu finden.
Hier sehr puristisch serviert in der Osteria Rangon, einem Lokal mit bodenständiger, traditioneller Küche.
Danach noch eine Portion Pasta, die ebenfalls für die Region typischen Tortelli d’erbette, Nudeln gefüllt mit jungem Mangold, Parmesan und Ricotta, serviert mit zerlassener Butter und geriebenem Parmesan, e basta.
Die Osteria war ein Tipp von Giorgia, der bezaubernden Vermieterin meiner nicht minder entzückenden Wohnung, zentral gelegen, geschmackvoll, aber behutsam renoviert. Neues erschaffen, Altes bewahren.
Die Osteria Rangon liegt im Borgo delle Colonne, einer hübschen Straße mit Arkadengängen. Rund um diese Gegend, auf der Rückseite der Kathedrale gelegen, haben sich so einige schöne Bars und Restaurants angesiedelt.
So, denke ich, erklärt sich auch der Name dieser quirligen Bar, Canaglie del Naviglio (nennen wir es freundlich „Schurken“ des Kanals), eine kleine Anspielung auf das berühmte Ausgehviertel Mailands, die Navigli.
Nächster Abend:
Ins Cortex Bistrot.
Ein weiterer Tipp Giorgias, und zwar ein ganz ausgezeichneter!
Ich bestellte à la carte, denn erfreulicherweise wurden alle Gerichte auch in kleinen Portionen angeboten.
Zur Begrüßung eine Praline aus Kakaobutter mit Baba Ganoush (arabisches Auberginenpüree), Gazpacho und einem Zwiebelöl (Olio di cipolline klingt irgendwie hübscher) mit Basilikum.
Aufregender Start!
Dann eine Portion Parmaschinken, Prosciutto crudo di Sant‘ Ilario, 30 Monate gereift, serviert mit einem Chutney. Einzigartige Qualität ohne Ablenkungen, über das perfekte Alter eines Parmaschinkens sollte ich später noch mehr lernen.
Nun ein pochiertes Ei auf einer Pappa al pomodoro (eine feste Tomatensuppe, siehe Perugia) versteckt unter einer Schicht aus Bàgoss-Käse (ein kräftiger Hartkäse mit Safran(!) vom Lago d’Idro) und Buttermilch, gewürzt mit scharfem Paprikapulver.
Ungewohnte Kombinationen, doch wenn man durch die weiße Buttermilch-Käse-Masse zum tomatigen Grunde vordrang, und alles zusammen auf dem Löffel verzehrte, verstummte jeglicher Zweifel.
Die Stimmung stieg, nicht nur durch den Wein, und das Risotto mit Riso Nero Venere, Gambero crudo, Garnelenpulver, Knoblauchcreme und Salbei markierte den Höhepunkt des Abends.
Farblich nicht besonders schön, auch das Garnelenpulver auf dem Tellerrand als Deko eher irritierend. Geschmacklich aber überzeugend!
Die sanfte Meeresbrise der rohen Garnelen, kombiniert mit den dunklen, erdigen Aromen des schwarzen Reises, der auf den Punkt gegart war (und das ist alles andere als einfach!) verführten mich dazu „das Schühchen zu machen“ (fare la scarpetta – die italienische Redewendung für das begeisterte Aufwischen der Sauce mit Brot).
Statt Dessert noch einen Tatar (diesmal vom Rind) mit Pane carasau (dünnes, knuspriges sardisches Fladenbrot), Sommertrüffeln und gerösteten Haselnüssen.
Hervorragend. Und auch der beste Gang, wenn da nicht diese rohen Garnelen mit schwarzem Reis gewesen wären…
Ein wunderbarer Abend, eine charmante Bedienung und ein vorzügliches Essen.
Preise moderat, tolle Weine.
Im Cortex wird der manchmal etwas zu sehr in der Tradition verhafteten italienischen Küche gekonnt und inspiriert auf die Sprünge geholfen.
Tags darauf ein Ausflug.
Es werden so einige Touren angeboten, um die Produzenten von Parmesan, Culatello di Zibello (auch ein Schinken), Balsamicoessig und der Salame di Felino (keine Angst, diese Wurst ist nicht von der Katze, sondern aus dem Ort namens Felino) zu besichtigen, allein es fehlte die Zeit.
Doch wollte ich Parma nicht verlassen, ohne dem berühmten Schinken und dem Divin Porcello, dem göttlichen Schwein(chen), gehuldigt zu haben!
Also auf nach Langhirano, dem Hauptort der Herstellung. Nur aus dem kleinen Gebiet rund um den Ort, zwischen den Flüssen Enza und Stirone, kommt die gesamte Produktion des Parmaschinkens auf der Welt.
Ich darf an dieser Stelle die blumigen Ausschmückungen des Consorzio di Parma zitieren:
„Hier herrschen klimatische Bedingungen, die ideal sind für das natürliche Lufttrocknen der Schinken. Der Seewind der Versilia streift, nachdem er das Aroma der Pinienwälder aufgenommen hat, gegen die Karstberge der Cisa, verliert dabei seinen salzigen Geschmack und bläst anschließend durch die Kastanienwälder. Die Luft wird trocken und ist ideal für die Reifung des Prosciutto di Parma.“
Um jährlich 9 Millionen Schinken herzustellen braucht es 4,5 Millionen Schweine, und für die Zucht all dieser ist die Gegend zu klein. Die Schweine stammen daher aus ganz Italien, nein, nicht ganz Italien, sondern aus 10 festgelegten Provinzen: Der Emilia-Romagna, Venetien, Lombardei, Piemont, Molise, Umbrien, Toskana, Marken, Abruzzen und Latium.
Die Familie Lanfranchi von der Salumificio La Perla ist einer dieser Produzenten, Tochter Silvia kümmert sich um das Marketing und begrüßte uns zur Führung durch den Betrieb.
Die Schweinekeulen werden mit Salz eingerieben, reinem Meersalz, kein Nitritpökelsalz, keine Farbstoffe, worauf man nicht ohne einen gewissen Stolz hinwies, die Schwarte mit feuchtem, die Muskelteile mit trockenem Salz.
Die Schinken reifen nun in verschiedenen Kühlräumen mit kontrollierter Luftfeuchtigkeit, je nach Alter geht es dann in den nächsten Kühlraum.
Das riecht man.
Der Geruch ist ohnehin atemberaubend, aber tatsächlich riecht es in jedem Raum unterschiedlich, abhängig vom Reifegrad.
Nach 70 Tagen wird das Salz entfernt und die Schinken trocknen an der Luft, Luftstrom und Luftfeuchtigkeit genauestens gesteuert, versteht sich.
Einen weiteren Monat später werden die Muskelpartien mit einer Schutzschicht aus Reismehl, Pfeffer und Schmalz eingerieben, um ein zu schnelles Austrocknen zu verhindern.
Nach mindestens 12 Monaten ist der Schinken dann soweit, und wird mithilfe eines Pferdeknochens auf einwandfreien Geruch überprüft. Pferdeknochen deshalb, weil diese porös sind und der an ihnen haftende Geruch schnell verfliegt, so kann es zügig weiter zum nächsten Schinken gehen (und an Pferdeknochen herrscht kein Mangel, siehe weiter oben).
Schinken mit Fehlern, sei es Geruch, Schimmel oder sonstigem Makel werden kompromisslos aussortiert und verbrannt.
Erst dann wird dem Parmaschinken sein Gütesiegel, die Krone der Herzöge von Parma eingebrannt.
Aus 15 Kilo Anfangsgewicht sind bis dahin etwa zehn geworden.
Zum Abschluss des Besuches gab es (an weit auseinander stehenden Tischen…) noch ein Glas trockenen Malvasia, ein wenig Parmesan und eine Portion 14 Monate alten Schinkens, was auch, nach Silvias Meinung, die perfekte Reifedauer sei. Ältere Schinken wären zwar auch gut, aber halt schon ganz anders im Geschmack. Und jünger als 12 Monate geht ja sowieso nicht. Merke ich mir mal und teste.
Zurück in der Stadt noch ein wenig gebummelt, und nicht ganz zufällig, an der Coltelleria Righi vorbeigekommen. Ein Küchenladen mit dem Schwerpunkt auf hochwertigen Messern (coltello=Messer). Doch fatalerweise lag da noch etwas ganz anderes im Schaufenster:
Ein Steintopf. Hätte dableiben dürfen, wäre ich geflogen. Doch unverhofft klimabewusst bin ich mit dem Zug gereist, und so wurden die Rollen des Koffers einem beachtlichen Materialtest ausgesetzt.
Denn der Topf ist schwer.
Zum Schmoren, Erfahrungsberichte folgen.
Des späteren Abends in die versteckt liegende Jolly Roger Cocktailbar. Versteckt? Ja, das alte Spiel mit der Klingel, um Einlass zu erhalten.
Ein wenig britischer Landhaus-Stil, gemütlich, kompetent und freundlich.
Am letzten Tag umhergestreift, italienische Hemden bei Vitali gekauft, reichlich caffè getrunken und die Seele baumeln lassen.
Am Abend in das besternte Ristorante Parizzi, doch dazu ein eigener Bericht.
Abschließend möchte ich sagen: Parma hat sich von seiner besten Seite gezeigt, und hier ist mit Sicherheit noch so einiges zu entdecken, nicht nur kulinarisch, sondern auch in Kunst und Kultur. Von Dom, Baptisterium, Santa Maria della Steccata, Teatro Regio und all der anderen Belle arti habe ich ja noch gar nicht gesprochen. Wiederkommen ist vorgemerkt.
L’Antica Macelleria di Parma
Via dei Farnese 3C
Osteria Rangon
Borgo delle Colonne 26
Canaglie del Naviglio
Borgo delle Colonne 40B
Cortex Bistrot
Borgo del Correggio 20B
Coltelleria Righi
Strada della Repubblica 106
Jolly Roger Speakeasy
Strada Agli Ospizi Civili 6
Salumificio La Perla
Strada Quinzano Sotto 10, 43013 Langhirano
se po a magn ‘na bocäda,
a sént profumm e savór
che i m’ricordon la gioventù,
cuand la mizérja l’éra la me compagna
e la me ómbra l’era la fama.
Tutt ‘sti ricord i m’én tornè in mént
cuand, cuäzi par cäz, a m’són fermè
a l’ostaria Rangon, in pjazäl San Loréns.
L’é stè un bél momént:
fortuné d’ésrogh capité.
Ausschnitt aus dem Gedicht von Umberto Ceci, „’n‘ ostaria“, im Dialekt Parmas.
wenn wenig Essen war, ein Mundvoll nur
an hundert Gerüchen und Geschmäckern
wie ich erinnere die Jugend,
als das Elend war meine Begleiterin
und mein Schatten war der Hunger
all dies‘ Erinnerung, die mir sind zurück in Sinn
wann nur der Zufall mich einkehren ließ
bei der Osteria Rangon, an der Piazza San Lorenz‘.
Dies war ein herrlicher Moment:
glücklich ist es mir geschehen.