Lyon

Ein paar Tage in Lyon.

Sehr entspannte Anreise im TGV, zumindest solange nicht unerzogene Gören über Stunden ihre Chipstüten laut raschelnd verzehren, und mit den zu Boden gefallenen Resten eine zertretene Spur der Verwüstung durch den Waggon ziehen.

Die Bewohner der Stadt empfingen uns sehr freundlich, mehrfach wurde ich bei der Orientierung mit der Karte (ja, ich benutze bedrucktes Papier zur Navigation) gefragt, ob man behilflich sein könne, sogar Koffer die Treppe zur Metro hinuntertragen wurde angeboten! Auch in den Geschäften und Restaurants ausgesprochen freundliches Personal, teilweise wurde sogar Englisch gesprochen!

Das kenne ich aus Frankreich durchaus auch anders.

Lyon wird auch als kulinarische Hauptstadt Frankreichs bezeichnet, die Heimatstadt von Paul Bocuse, über 4000 Restaurants gibt es hier, was bezogen auf die Bevölkerungszahl rekordverdächtig ist. Um dies zu erkunden waren wir hier.

Außerdem sagen die Lyoner, dass durch ihre Stadt nicht nur zwei Flüsse fließen, Rhone und Saône, sondern noch ein dritter: Der Beaujolais…

Am späten Abend eingetroffen, und sofort auf die Suche nach einem hübschen Restaurant gemacht, bevor die Küchen schließen. Durch Zufall an einem sehr hübschen vorbeigekommen, „A la Guill’on dîne“. Etwa 20 Plätze, alle schienen besetzt, und zwar ausschließlich von Einheimischen.

„Avez-vous une réservation?“

Nein, natürlich nicht, sind ja gerade erst angekommen. Doch siehe da, husch husch einen Tisch umgestellt und schon nahmen wir Platz.

Um es vorwegzunehmen: Großartig! Obwohl wir später wirklich auch sehr gut gespeist haben, dieses Restaurant blieb der Favorit.

Sehr französisch, ohne exotische Zutaten, dennoch modern.

Als Amuse-Gueule eine lauwarme Karottenvelouté, mit Ingwer, Blutorangenöl und Lavendelblüten, fein und delikat.

Zur Vorspeise ein pochiertes Ei auf Artischockenherz, mit einer Kastaniensauce und einem Foie gras-Taler, als Hauptgang ein vegetarisches Risotto mit Trüffelöl, und ein „pièce du boucher“, also vermutlich ein Onglet vom Charolais-Rind, saftig und zart, mit Galettes parmentières (Buchweizenpfannkuchen), und einer köstlichen Rotwein-Schalotten-Reduktion.

Dazu Weine aus der näheren Umgebung (Beaujolais und Côtes-du Rhône) zu angenehmem Preis (um die 6 Euro für 0,15l).

Sehr zu empfehlen.

Wie sich später herausstellt hat der Küchenchef, der als Alleinkoch den Abend wirklich hervorragend bestritten hat, früher bei diversen Sterneköchen, unter anderem Pierre Gagnaire, gearbeitet.

Am zweiten Tag einen Ausflug zum besuchenswerten Flohmarkt Les Puces du Canal gemacht, etwas außerhalb gelegen, dort ein Glas Wein in diesem Restaurantpavillon genommen:

Ich wunderte mich noch über die merkwürdige Comicgestalt am Fenster, doch dann wurden sie serviert, am Nachbartisch, die kleinen Schenkelchen…

Spezialität des Hauses, nur am Wochenende, 18 Euro pro Portion.

Vielleicht nächstes Mal.

Zurück in der Stadt, auf der Halbinsel zwischen Rhone und Saône, einen Aperitif bei Pléthore & Balthazar genommen. So muss eine Weinkarte aussehen!

 

Abends in Vieux Lyon bei Chez Grand-Mère eingekehrt. Gut besucht, deutlich mehr Touristen als Einheimische. Bedienung freundlich und flott, Essen rustikal und bodenständig.

Genau das soll es aber auch sein, denn die Grand-Mère ist eine von den typischen „Bouchons“, Gaststätten berühmt für ihre Lyoner Spezialitäten.

Also hinein ins deftige Vergnügen. Zuerst einen Lyoner Salat mit Speck, Croûtons und pochiertem Ei, und ein Oeuf meurette, ein pochiertes Ei mit Speck, Croûtons und einer Rotwein-Zwiebelsosse (also sozusagen ein Lyoner Salat ohne Salat…).

Oeuf meurette gewinnt.

Danach Quenelle de brochet (Hechtklößchen) in Hummersauce, ein allgegenwärtiges lokales Gericht.

Ausgesprochen würzig und mächtig, aber sehr lecker. Und gar nicht fischig.

Allerdings hatte ich mir die Präsentation etwas anders vorgestellt…

Quenelle de brochet

Und ein Boeuf bourguignon mit Tagliatelle. Dies war gut, aber nicht unbedingt umwerfend, was ein Schmorgericht meiner Meinung nach aber sein muss.

Zum Dessert ein halber Saint Marcellin (Lyoner Käse-Lokalpatriot) mit Honig – hervorragend, auf den Punkt gereift.

Das Menu mit den Hechtklößchen 18,90, mit Boeuf bourguignon 23 Euro.

Ein wenig touristisch, aber absolut kein Nepp, sehr anständiges Essen. Und freundlich.

Tag 3:

Ein Besuch der Markthalle „Les Halles de Lyon Paul Bocuse“. Kein architektonisches Kleinod, in der Ecke Lyons feiert der Brutalismus seine vergangene Größe. Drinnen aber knapp 60 Händler mit Produkten von fantastischer Qualität. Fleisch, Geflügel, Fisch, Käse, Gemüse, Wein, ein paar Bars und Restaurants mit Spezialitäten, oft Meeresfrüchte, und diese unglaublichen Patisserien…

Fromagerie Lyon

Und natürlich La Mère Richard, eine Käsehändlerin in zweiter Generation, berühmt für ihren Saint Marcellin.

Abends: La Table 101.

Gebratene Foie gras mit gebackenen Apfelscheiben auf einem Hibiskusjus.

Wow! Göttlich.

Ein klein bisschen schlechtes Gewissen, denn aus Tierschutzgründen sollte man ja keine Gänsestopfleber essen. Mache ich auch höchst selten, aber das war ausgezeichnet.

Für mich gebratene Oktopusstücke mit Kalbsbries in einer Kürbiscreme mit geräuchertem Speck und einer Maronen-Ingwercreme.

Das Kalbsbries war sehr gut und gehaltvoll, der zarte Oktopus ging nebendran leider ein wenig unter.

Dann Jakobsmuscheln auf stückig geschmortem Butternutkürbis (schon wieder Kürbis, ja mei, ist halt Herbst), geröstete Petersilienwurzeln und Pfifferlinge, Schalotten-Süßholz-Confit und verdammt leckere getrocknete Schweinskopfsülze-Taler.

Und eine zarte Entenbrust auf geschmorten Endivien mit Steinpilzen, Hokkaidokürbis-Nocken und Blumenkohl.

Als Nachspeise: Ein Chartreuse-Soufflé!
Mehr Frenchyness geht kaum. Locker, fluffig, luftig, leicht, und gegen sehr moderaten Aufpreis von 5 Euro ein Glas Chartreuse V.E.P. dazu.

Zum Abschluß Käse,
Menu 49 Euro.
Spitze.

Letzter Tag, ins Museum. Musée des confluences, (die „Zusammenflüsse“, weil an der Spitze der Halbinsel auf einer ehemaligen Industriebrache errichtet), Ende 2014 vom Wiener Architekturbüro Coop Himmelb(l)au gebaut, welche auch die Europäische Zentralbank in Frankfurt fertiggestellt haben.

Wilde Mischung aus einer naturkundlichen und kulturgeschichtlichen Dauerausstellung und verschiedenen Wechselausstellungen, diesmal über die Tuareg, den Comiczeichner Hugo Pratt und Yokainoshima, japanische rituelle Masken.

Hmm. Ein Dodo-Skelett, bunte Strohmasken und ein wenig Nomadenschmuck in ultramoderner Architektur passten für mich nicht recht zusammen. Zeitgenössische Kunst hätte ich hier angemessener gefunden, doch nun gut, darf ja auch mal nicht meinen Geschmack treffen.

 

Noch über 3997 Restaurants zum Ausprobieren übrig, wohin?

Bocuse? Irgendein anderes 3-Sterne-Restaurant? Nein. Ihr ahnt es schon.

A la Guill’on dîne!

Diesmal reserviert. Diesmal das Menu découverte, für 33 Euro. Bitte? Drei-Gänge-Menu in der Qualität? Doch.

Confit vom Schwein mit geräucherter Aubergine und Apfelstücken, Kabeljaufilet mit Fenchel, Rote-Bete-Püree und Zitronengras-Wasabi-Sauce, ein halber Saint Marcellin von Mère Richard, oh là là!

Kabeljau

Nun haben wir allerdings die Speisekarte durch und müssen ein wenig warten bis zum nächsten Besuch, viel mehr Gerichte gibt es nicht, was aber auch Sinn macht, siehe das Stichwort Alleinkoch, denn so kann er alles auf diesem hohen Niveau frisch zubereiten.

 

Zum Ausklang des Abends eine Bar.

L’Antiquaire

Dunkler, ja fast düsterer Laden mit viel altem Holz. Meine Versuche, die nach vier Tagen wiedererstarkten Französischkenntnisse anzubringen, wurden mit vehementer englischer Ansprache im Keime erstickt.

Ich weiß, schwummerige Beleuchtung soll gemütliche Stimmung erzeugen, aber ich kann dann halt die Getränkekarte nicht mehr lesen. Aber diese war eh äußerst überschaubar und überraschenderweise fast gänzlich ohne Eigenkreationen. Das kenne ich sonst genau anders herum, die Signaturedrinks stehen auf der Karte, und die Standards gibt es auf Nachfrage.

Nun, war schon recht spät und auch nicht mehr wirklich gut besucht, die Bluesmusik schrammelte leise, und so verzichtete ich auf eingehende Beratung über die Hausspezialitäten und wir orderten einen Negroni und ich was mit Chartreuse, weil immer noch vom Soufflé geflasht, z.B. einen Bijou.

Ginge nicht, da ein Bijou ja nicht mit Chartreuse gemacht würde…
Aha. Muss ich wohl Harry Johnson mal schelten.

Stattdessen wurde mir ein Bobby Burns ans Herz gelegt, ein Cocktail mit Scotch, Wermut und Bénédictine.

Kartäuser oder Benediktiner, Liköre können sie alle, also bitte schön.

Sauber gemixt, sehr schön, 10 und 12 Euro.

 

Abschließend kann ich eine warme Empfehlung für einen Besuch Lyons aussprechen. Sehr interessante Stadt, nicht nur kulinarisch. In einem der Bouchons sollte man allerdings die Speisekarte ordentlich studieren, falls man keine Innereien mag. Aber keine Angst, es gibt genug andere leckere Sachen zu essen.

Zu guter Letzt noch etwas Beruhigendes: Selbst Franzosen können kulinarische Entgleisungen!

 

A la Guill’on dîne
59, Grande Rue de la Guillotière

Chez Grand-Mère
11, rue du Boeuf

La Table 101
101, rue Moncey

Pléthore et Balthazar
72, rue Mercière

L’Antiquaire
20, rue Hippolyte Flandrin

Les Halles de Lyon Paul Bocuse
102, Cours Lafayette

Flohmarkt Les Puces du Canal
3, rue Eugène Pottier, Villeurbane

Museé des confluences
86, Quai Perrache

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