Nach Parma ging es im Oktober weiter zu einem Kontrollbesuch in Perugia.
Welche Geschäfte, Bars und Restaurants haben den harten (ersten) Lockdown Italiens überlebt?
(Im Grunde meines Herzens will ich dieses Juwel Mittelitaliens eigentlich für mich behalten. Meins, ganz allein. Auf gar keinen Fall soll die Stadt so unter Overtourism leiden wie Florenz oder Venedig. Aber dafür liegt sie glücklicherweise zu abgelegen. Und die Geschäfte und die Gastronomie leiden. Also fahrt irgendwann wieder hin, es lohnt sich. Aber bleibt für mehr als einen Tag.)
Die erste gute Nachricht: Remigio verströmt in seinem Tempel (Il Tempio) weiterhin gute Laune und guten Wein!
Der Name geht zurück auf eine sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindlichen Rundkirche aus dem 6. Jahrhundert, auf den Grundmauern eines römischen oder sogar etruskischen Tempels erbaut. Im Innern gibt es ein geheimnisumwittertes Pentagramm auf dem Boden, und die Kirche soll außerdem auf einer Linie entlang der Erdoberfläche liegen, auf welcher der letzte Sonnenstrahl bei Sonnenuntergang zur Sommersonnenwende vorbeigeht.
Damit ist der Tempel in Perugia gut aufgehoben, denn hier laufen so einige, manchmal auch recht wirre, Linien zusammen. Wie man an gleich mehreren esoterischen Buchläden erkennen kann…
Nebenan ein alter Stadttorturm mit einem Museum historischer Instrumente
und einer Dachterrasse mit großartigem Ausblick. Allerdings äußerst erratische Öffnungszeiten, wird von privaten Enthusiasten betrieben, Eintritt kostenlos, Spenden willkommen.
Auch die Osteria dei Priori war in vollem maskierten Betrieb, weiterhin feine, traditionelle umbrische Gerichte auf höchstem Niveau. Und, selbstverständlich, ein Sagrantino di Montefalco zum Niederknien.
Das altehrwürdige Caffè Sandri hat leider nach dem ersten Lockdown nicht wieder geöffnet, Zukunft ungewiss.
Ebenfalls geöffnet war der hübsche kleine Garten in der Nähe der Ausländeruniversität, Il Giardino, diesmal mit leider nicht so hübschem Zelt. Aber dadurch konnte er die Saison verlängern, normalerweise ist nämlich Ende September Schluss. Küchenleistung wieder überraschend hochklassig, insbesondere wenn man die winzige Küche sieht.
Getrüffelte Carbonara mit ungesüßter Zabaione, und ein ausgezeichnetes Thunfisch-Tataki und -Tatar, ein gebratener Friggitello (wie die spanischen Bratpaprika) und süßsaure Zwiebeln.
Im Sommer auch öfter Freiluftkonzerte.
Moment, Zwiebeln?
Ja!
Endlich war auch die richtige Jahreszeit für Zwiebeln aus Cannara!
Gibt sie in weiß und rot.
Für Adepten des Craftbeer-Hypes noch eine exquisite Adresse: Kosmo.
Ein paar Biere gezapft, und dazu noch Hunderte Flaschenbiere, viele aus Italien, aber auch aus aller Welt.
Das Ristorante Luce war auch auf, habe ich diesmal leider nicht geschafft.
Dafür noch eine kleine Neuentdeckung, eine sympathische Weinbar namens Zenoteca am Beginn des Corso Cavour.
Quasi nebenan Paradiso 518, hier das Ladengeschäft, ein paar Schritte weiter der Ende der Woche geöffnete Kiosk Edicola 518, der es bis in die Financial Times geschafft hat.
Eklektische Auswahl an internationalen und italienischen Zeitschriften und Magazinen, von Inneneinrichtung und Design über Lifestyle, Kunst, Musik, Fotografie, Kochen, bis hin zu Politik, inklusive einer hübschen Kollektion anarchistischer Zeitungen.
Eine weitere Weinbar mit hervorragenden lokalen und anderen Weinen (toller Trebbiano Spoletino) hieß früher „Frittole“, und hat sich umbenannt in „La Moglie Ubriaca“ („die betrunkene Ehefrau“). Denn Ahnung von Wein hat Sara definitiv.
Der Club Marla hat einen neuen Besitzer, Marco hat aus familiären Gründen den Laden an den Betreiber einer anderen Bar ganz in der Nähe abgeben. Eventuell ein guter Zeitpunkt…
Während meines Besuches noch geschlossen wegen eines Wasserschadens.
Ob die neue Leitung noch dieses Händchen für bekannte und unbekannte Liveacts haben wird?
Kleine Erinnerung an eine spontane Jamsession des Hammond-Orgelvirtuosen Cory Henry während des Umbria Jazz 2016, hier ohne Orgel (nachdem seine Sängerin am Abend vorher schon dort auftrat, und wohl Gutes über die Stimmung zu berichten wusste – der Autor dieser Zeilen irgendwo verschwommen im Hintergrund).
Der Friedhof ist ebenfalls sehenswert. Die wohlhabenderen Familien Perugias
haben recht beeindruckende Grabstätten errichten lassen. Diesmal kein Brutalismus, sondern eher Neoklassizismus, italienischer Jugendstil (Liberty), und, ähm, Neuägyptischer Stil.
Das Wetter lockte diesmal auch in einige Museen, beim Betreten derer sämtlicher ich wieder über den aktuellen Stand meiner Körpertemperatur unterrichtet wurde.
So z.B. die Galleria Nazionale dell’Umbria im (selber beeindruckenden) Palazzo dei Priori, mit Gemälden der italienischen Renaissance von Perugino, Pintoricchio, Fra Angelico und vielen mehr.
In dessen dazugehörigen Museumsbuchladen suchte ich nach dem längst vergriffenen Bildband zu der Ausstellung eines berühmten amerikanischen Fotografen, „Sensational Umbria“, und fragte die freundliche junge Dame an der Kasse danach. Den Namen der Ausstellung wusste ich nicht mehr, aber mehr als „es gibt ein Buch von einem amerikanischen Fotografen…“ brachte ich auch nicht heraus, bevor sie, wie aus der Pistole geschossen sagte: „Steve McCurry!! Ein Foto von mir ist in dem Buch!“
So klein ist Perugia, äh die Welt manchmal…
Leider hatte nicht einmal sie ein Exemplar.
Der Palazzo della Penna, eine alte Familienresidenz mit wechselnden Ausstellungen teilweise schwerst moderner Kunst, und einer Dauerausstellung der umbrischen Futuristen mit dem Schwerpunkt auf den aus Perugia stammenden Gerardo Dottori.
Im Erdgeschoss die konservierte Erinnerung an den Besuch von Joseph Beuys in Perugia 1980.
Dito einen Abstecher wert: Das Archäologische Nationalmuseum Umbrien (36,8°C) im ehemaligem Kloster San Domenico. Mit einer bedeutenden Sammlung etruskischer, umbrischer und römischer Fundstücke.
Apropos Etrusker.
Hatte ich eigentlich die Rolltreppen schon erwähnt ? Führen durch die Rocca Paolina (Festung des Paulus), an etruskischen Ausgrabungen und moderner Kunst vorbei, u.a. von Alberto Burri.
Die Festung wurde von Papst Paul III., Alessandro Farnese, nachdem seine Truppen Perugia 1540 erobert hatten, auf den zugeschütteten Resten der zerstörten Stadt erbaut, ein weithin sichtbares Zeichen seiner Macht.
Der fiese Pope hatte eine neue Steuer eingeführt, die Salzsteuer. Die schlauen Florentiner sagten sich, nun gut Papst, mach halt, und buken ihr Brot fortan ohne Salz, übrigens bis heute.
Die stolzen Perugini hingegen widersetzten sich dem Papst und der Steuer.
Tja.
Perugia blieb danach für über 300 Jahre Teil des Kirchenstaates.
Mit dessen Ende 1861 und der Gründung des Königreichs Italien wurden Teile der Festung abgerissen.
1932 begann man damit die unter der Festung liegende Stadt wieder auszugraben, eine Arbeit die sich bis 1965 hinzog, 1983 wurden dann die ersten Rolltreppen (scale mobili) eröffnet (ab Minute 10:55).
Mit den Rolltreppen durchquert man die Rocca Paolina von unten gelegenen Parkplätzen und dem Busbahnhof hinauf in die Altstadt, durch eine unterirdische, fast komplett erhaltene Stadt aus dem 16. Jahrhundert. Gut, auch oberirdisch hat sich an etlichen Stellen Perugias seit 400 Jahren nicht viel verändert, aber das ist schon etwas besonderes.
Zu guter Letzt ein Ausflug nach Gubbio, der schönsten Terrasse Umbriens.
Klitzekleines bisschen touristisch, aber trotzdem bezaubernd.
Enoteca Il Tempio
Viale Zefferino Faina 50
San Michele Arcangelo (Tempio di Sant’Angelo)
Via del Tempio
Museum historischer Musikinstrumente (Arte e Musica del Perugino)
Cassero di Porta Sant’Angelo
Corso Garibaldi – letztes Gebäude
Osteria a Priori
Via dei Priori 39
Il Giardino
Via dei Pellari
Kosmo
Piazza Danti 17
Zenoteca
Via Podiani 14
La Moglie Ubriaca
Via Alessi 30
Paradiso/Edicola 518
Corso Cavour 9
Marla
Via Bartolo 9-11
Cimitero monumentale di Perugia (Friedhof)
Via Enrico dal Pozzo 144
Galleria Nazionale dell’Umbria
Palazzo dei Priori
Corso Vannucci 19
Palazzo della Penna
Via Prospero Podiani 11
Museo Archeologico Nazionale dell’Umbria (M.A.N.U.)
Corso Cavour, Piazza Giordano Bruno 10
Rocca Paolina
nördlicher Eingang von der Piazza Italia
südlicher Eingang über die Via Luigi Masi