Freitagsküche und Claudia Wamser von der Forellenzucht Lenz kochen
Die Freitagsküche. Kurz nördlich des Hauptbahnhofs gelegen, dort wo technisch das Gallusviertel anfängt. Dieses wird von den Frankfurtern schon seit über hundert Jahren „Kamerun“ genannt, vermutlich aufgrund der rußgeschwärzten Gesichter der damals im Viertel lebenden Fabrikarbeiter.
Heute geht man neben einem afrikanischen Friseursalon in einen kleinen, fast etwas versteckten Hinterhof zur Freitagsküche. Unter der Woche gibt es Mittagstisch, abends ist, soweit ich weiß, nur ein- bis zweimal im Monat geöffnet. Eben freitags.
Ambiente erinnert an eine Mensa, schlicht und schnörkellos, die Wände mit den eigenen Flyern tapeziert. Getränke als Selbstbedienung an der kleinen Bar, Einheitsgeschirr, stapelbare Weingläser, aber weiße Tischdecken! Das Publikum auch vorwiegend studentisch, Norwegerpullis, Männerdutt, auch ein paar ältere Semester dabei, alle sitzen kunterbunt an Sechsertischen vereint.
An diesem Abend brachte Frau Claudia Wamser vom Forellenhof Lenz in Oberzent-Sensbachtal im Odenwald, einem Familienbetrieb in dritter Generation, Fisch aus ihrer Zucht mit.
Und erzählte einiges dazu.
Die Fische werden auf ihrem Gut vom Ei an in kompletter Eigenregie aufgezogen, mit Handfütterung, um durchgängig Wachstum und Gesundheit der Tiere im Blick zu haben. Ein Bachdurchfluss durch die Teichanlagen sorgt für erstklassige Wasserqualität und ermöglicht sogar die Aufzucht der anspruchsvollen Bachforellen.
Außerdem werden einige Fische nach der japanischen Ike Jime Methode (sprich: Ikeshime) getötet, so auch die Tiere des heutigen Speiseplans. Dazu werden die Fische einen Tag vor der Schlachtung (bei Frau Wamser sogar mehrere Tage) in einem extra Becken von den anderen separiert, um möglichst stressfrei ihre letzten Stunden zu verbringen. Denn, so haben wir gelernt, Stress zerstört die Muskelzellen der Fische. Bei den herkömmlichen Tötungsmethoden (Schlag auf den Kopf, Elektroschock etc.) stirbt der Fisch zwar (bzw. ist betäubt), die Muskeln zucken jedoch noch und die Zellen nehmen Schaden. Dies war anschaulich durch Mikroskopaufnahmen von Muskelzellen in verschiedenen Stresszuständen auf den jedem Tisch beigelegten Infoblättern zu sehen.
Bei der Ike Jime Methode wird der Fisch durch einen Stich ins Gehirn getötet, anschließend der Kopf abgetrennt und mit einem spitzen Draht der Rückenmarkskanal durchbohrt, was die Muskelkontraktion unterbindet. Dies erfordert etwas Übung, und mir kam kurz der Gedanke nach einer vegetarischen Menüoption zu fragen. Aber der Fisch ist ja schon tot.
Nun kam Lothar ins Spiel, von Frau Wamser mitgebracht um einen kleinen biochemischen Vortrag zu halten über die Einzelheiten des Eiweißabbaus nach der Tötung, Enzyme, die Funktion von ATP (Adenosintriphosphat), quasi die „Restenergie“ der Zellen, beim Muskelzucken und der einsetzenden Totenstarre. Außerdem wies er daraufhin, dass auf dem Forellengut keine schädlichen WLAN-Strahlen die Aufzucht beeinträchtigen.
Frau Wamser erklärte uns dann noch, das die Fische mit einer Maschine entgrätet wurden (ich hatte eine winzige, aber diese Maschine funktioniert wohl erstaunlich gut), wir jeden Bissen etwa 60 mal kauen sollten „um zu hören, wie knusprig der Fisch schmeckt“. Wer genau hinhöre könne sich auch vorstellen wie der Fisch ausgesehen habe. Außerdem blieben die Fische durch Ike Jime sehr energiereich. Zum Schluss noch der Hinweis: „Du bist, was Du isst!“
Kleiner Einschub: Möglicherweise hört man in den obigen Zeilen eine gewisse Esoterikskepsis meinerseits heraus. Mein Eindruck von Frau Wamser war jedoch keineswegs der einer verschrobenen Kräuterhexe, sondern einer gut informierten Geschäftsfrau mit einem Plan und einer Überzeugung. Und, dies vorweg, die Qualität der Fische war ausgezeichnet und über jeden Zweifel erhaben, ob’s nun am fehlenden WLAN, dem frischen Odenwaldwasser oder japanischen Traditionen gelegen hat. Vielleicht von allem ein bisschen.
Der erste Gang. Gekocht hat übrigens Benjamin Hübner, der „Hauskoch“ der Freitagsküche.
Gebeizte Lachsforelle als Carpaccio nach Familienrezept des Forellenhofes, mit Olivenöl, Zitrone und Basilikum.
Sechzigmal kauen gelang mir nicht, die Bissen waren schneller verspeist, und gehört habe ich auch nichts, aber selten so eine hervorragende Lachsforelle gegessen. Möglicherweise noch nie.
Zweiter Gang: Fischconsommé mit hausgemachten Sauerteigbrot und Gochugaru-Butter (Gochugaru sind koreanische Chiliflocken). Sehr lecker, und außerdem vorbildliche Verwertung der Fischabschnitte für die Brühe.
Dritter Gang: Bachforelle auf Zwiebeln mit Molke. Die Forelle nur gedämpft, die Zwiebeln vermutlich in der Molke gegart, oder kurz ohne Bräunung sautiert, puristisch, ja fast japanisch auf dem Teller. Der Fisch superb, ausgezeichnete Struktur und dennoch sehr zart, dazu die leicht säuerliche Molke mit den eher süßlichen Zwiebeln eine gelungene Kombination.
Zwischendurch ging ein Mitarbeiter aus der Küche mit dem Hut, nein, einer Tupperdose herum und sammelte das Geld für das Menü ein. 35 Euro.
Vierter Gang. Lachsforellen-Sashimi mit Berliner Miso, Sojasauce, Wakame-Reis, gekochtem Rettich und Karotten-Ingwer-Sesamsalat. Wieder sehr puristisch, der Rettich japanischer Daikon, muss ich zum Fisch noch etwas sagen? Wundervoll.
Zum Abschluss ein Brandteigkrapfen mit Quitte und Blütenzucker.
Großes Lob an das Team von der Freitagsküche und der Forellenzucht Lenz.
Ich werde definitiv in Zukunft nach Ike Jime Fischen Ausschau halten, und einen Ausflug in den Odenwald machen.
Um mit Douglas Adams zu sprechen:
Macht’s gut und danke für den Fisch.